Pendler zwischen den Welten: Carl Walter Liner – 100 Jahre

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Am 17. August 2014 wäre der Appenzeller Maler Carl Walter Liner hundert Jahre alt geworden. Aus Anlass dieses Jubiläums zeigt die Stiftung Liner Appenzell in der Kunsthalle Ziegelhütte eine Retrospektive, die mit ausgewählten Hauptwerken das Œuvre des Ostschweizer Künstlers neu beleuchtet. Auf drei Stockwerken werden anhand von über 60 Gemälden, grossteils Leihgaben aus privatem oder musealem Besitz, die drei Hauptlinien der Kunst Liners – die Landschaftsmalerei, die geometrische und die gestische Abstraktion – dargestellt.

Carl Walter Liner (17. August 1914 – 19. April 1997) erhielt den ersten Zeichen- und Malunterricht bei seinem Vater Carl August Liner im elterlichen „Landhaus“ in Appenzell. Nach einem halbjährigen Aufenthalt in Ägypten 1936/37 studierte er 1938/39 an der Pariser Académie de la Grande Chaumière unter anderem bei Othon Friesz. Nach 1945 lebte und arbeitete er in Zürich und Appenzell. Ab 1950 bis zu seinem Tod 1997 waren Paris und Appenzell seine Lebenszentren – bereichert um einen Wohnsitz in Fontvieille in der Provence und unterbrochen von zahlreichen Reisen in der Schweiz, in Italien, in Frankreich und in den USA. Diese Lebens- und Schaffensorte wurden immer wieder in Aquarellen, Gouachen oder Gemälden thematisiert – nicht dargestellt, sondern interpretiert.

Nach dem von Impressionismus und Fauvismus beeinflussten Frühwerk und einer kurzen Phase der kubistischen Experimente entwickelte Liner zu Beginn der 1950er Jahre – parallel zum französischen Tachismus und zum deutschen Informel – eine expressiv-gestische Bildsprache, in der er vom Naturvorbild unabhängige, in der improvisierten Farbsetzung begründete Motivreihen formte. Liner brach aber keineswegs mit der abbildhaften Landschaftsmalerei; diese blieb auch weiter ein Hauptzweig seines künstlerischen Schaffens. Ab den späten 1950er Jahren setzte er einen dritten Schwerpunkt in seiner Auseinandersetzung mit Farbe und Form: die expressive Farbigkeit, der wilde Strich wurden in einer geometrisch klar strukturierten Bildorganisation gebändigt (Bild: Komposition türkis).

Innerhalb von knapp zwei Jahrzehnten hatte Liner ein eigenständiges Werk entwickelt. Er hatte sich einen nationalen und internationalen Ruf erschaffen, der folgerichtig zur Teilnahme an Gruppenausstellungen in der Schweiz und in Paris führte – und der letztlich in die Einzelausstellung 1959 in der richtungweisenden Erker-Galerie in St. Gallen und 1961 in die wichtige Retrospektive im Kunstmuseum St. Gallen mündete. Diese in der Öffentlichkeit sehr beachteten Ausstellungen ermöglichten in den Folgejahren auch die Umsetzung einiger, teils mobiler Wandgemälde im öffentlichen Raum, so bei der Winterthur Versicherung in St. Gallen.

Die Ausstellung legt in der Werkauswahl den Schwerpunkt auf die Jahrzehnte 1940 bis 1980 – jene Jahre, in denen Carl Walter Liner seine künstlerische Position entwickelte und festigte. Das Frühwerk bis 1940 und das späte Werk ab 1980 sind mit repräsentativen Beispielen vertreten. Deutlich wird die aussergewöhnliche Rolle des Künstlers in der Schweizer Kunstgeschichte – eines Künstlers, der sich bewusst jeder stilistischen Zuordnung, jeder Vereinnahmung durch das naturalistische oder das abstrakte Lager verweigerte, um das eigentliche Thema seiner Kunst, die Ausdrucksmöglichkeiten der Farbe, anhand verschiedenster Motive und unterschiedlicher Lösungen künstlerischer Problem-stellungen zur Anschauung zu bringen: Landschaft, Geometrie oder Gestik wurden in den Gestaltungen Liners zu Trägern von Farbwerten, letztlich zu Farbräumen (Bild: Ausblick aus dem Atelier)

Der Künstler, der in fast „methodischen“ Werkreihen arbeitete, formulierte im einzelnen Werk die Farbe in ihrer autonomen Realität – die sichtbare Wirklichkeit war dabei ebenso wie die Welt der Gefühle Ausgangspunkt für Expeditionen in Farbwelten, die mal mehr, mal weniger an die Alltagswelt erinnern konnten. Im bildnerischen Kosmos von Carl Walter Liner gab es kaum einen Unterschied zwischen einer Appenzeller Landschaft, einem Ellipsoid oder einer Farbexplosion. Alles war für ihn ein Bild der Natur, zu dem Bäume, Berge, Seen, Architektur, Licht, Dunkelheit, Stimmung, Energie ebenso gehörten wie Linien, Farbe, Dynamik oder Handschrift. Carl Walter Liner pendelte nicht nur im faktischen Leben zwischen den Welten – einerseits Appenzell, andererseits Paris; er liess und lässt auch den Betrachter zwischen den Welten – einerseits einer mimetischen, andererseits einer absoluten Kunst – pendeln: im Nebeneinander der Bilder, vor allem aber im Dialog dieser Ansichten entfaltet sich ein umfassendes, natur- und kulturbezogenes Weltbild

Finissage, Sonntag, 17. August 2014, 15 Uhr

Kunsthalle Ziegelhütte
Ziegeleistrasse 14
9050 Appenzell
Switzerland
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01.08.2016 - 01.01.2030
Landesmuseum Zürich
Museumstrasse 2
Zürich

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01.01.2016 - 01.01.2030
Landesmuseum Zürich
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Pendler zwischen den Welten: Carl Walter Liner – 100 Jahre Kunsthalle Ziegelhütte Main address: Kunsthalle Ziegelhütte Ziegeleistrasse 14 9050 Appenzell, Switzerland Kunsthalle Ziegelhütte Ziegeleistrasse 14 9050 Appenzell, Switzerland

Am 17. August 2014 wäre der Appenzeller Maler Carl Walter Liner hundert Jahre alt geworden. Aus Anlass dieses Jubiläums zeigt die Stiftung Liner Appenzell in der Kunsthalle Ziegelhütte eine Retrospektive, die mit ausgewählten Hauptwerken das Œuvre des Ostschweizer Künstlers neu beleuchtet. Auf drei Stockwerken werden anhand von über 60 Gemälden, grossteils Leihgaben aus privatem oder musealem Besitz, die drei Hauptlinien der Kunst Liners – die Landschaftsmalerei, die geometrische und die gestische Abstraktion – dargestellt.

Carl Walter Liner (17. August 1914 – 19. April 1997) erhielt den ersten Zeichen- und Malunterricht bei seinem Vater Carl August Liner im elterlichen „Landhaus“ in Appenzell. Nach einem halbjährigen Aufenthalt in Ägypten 1936/37 studierte er 1938/39 an der Pariser Académie de la Grande Chaumière unter anderem bei Othon Friesz. Nach 1945 lebte und arbeitete er in Zürich und Appenzell. Ab 1950 bis zu seinem Tod 1997 waren Paris und Appenzell seine Lebenszentren – bereichert um einen Wohnsitz in Fontvieille in der Provence und unterbrochen von zahlreichen Reisen in der Schweiz, in Italien, in Frankreich und in den USA. Diese Lebens- und Schaffensorte wurden immer wieder in Aquarellen, Gouachen oder Gemälden thematisiert – nicht dargestellt, sondern interpretiert.

Nach dem von Impressionismus und Fauvismus beeinflussten Frühwerk und einer kurzen Phase der kubistischen Experimente entwickelte Liner zu Beginn der 1950er Jahre – parallel zum französischen Tachismus und zum deutschen Informel – eine expressiv-gestische Bildsprache, in der er vom Naturvorbild unabhängige, in der improvisierten Farbsetzung begründete Motivreihen formte. Liner brach aber keineswegs mit der abbildhaften Landschaftsmalerei; diese blieb auch weiter ein Hauptzweig seines künstlerischen Schaffens. Ab den späten 1950er Jahren setzte er einen dritten Schwerpunkt in seiner Auseinandersetzung mit Farbe und Form: die expressive Farbigkeit, der wilde Strich wurden in einer geometrisch klar strukturierten Bildorganisation gebändigt (Bild: Komposition türkis).

Innerhalb von knapp zwei Jahrzehnten hatte Liner ein eigenständiges Werk entwickelt. Er hatte sich einen nationalen und internationalen Ruf erschaffen, der folgerichtig zur Teilnahme an Gruppenausstellungen in der Schweiz und in Paris führte – und der letztlich in die Einzelausstellung 1959 in der richtungweisenden Erker-Galerie in St. Gallen und 1961 in die wichtige Retrospektive im Kunstmuseum St. Gallen mündete. Diese in der Öffentlichkeit sehr beachteten Ausstellungen ermöglichten in den Folgejahren auch die Umsetzung einiger, teils mobiler Wandgemälde im öffentlichen Raum, so bei der Winterthur Versicherung in St. Gallen.

Die Ausstellung legt in der Werkauswahl den Schwerpunkt auf die Jahrzehnte 1940 bis 1980 – jene Jahre, in denen Carl Walter Liner seine künstlerische Position entwickelte und festigte. Das Frühwerk bis 1940 und das späte Werk ab 1980 sind mit repräsentativen Beispielen vertreten. Deutlich wird die aussergewöhnliche Rolle des Künstlers in der Schweizer Kunstgeschichte – eines Künstlers, der sich bewusst jeder stilistischen Zuordnung, jeder Vereinnahmung durch das naturalistische oder das abstrakte Lager verweigerte, um das eigentliche Thema seiner Kunst, die Ausdrucksmöglichkeiten der Farbe, anhand verschiedenster Motive und unterschiedlicher Lösungen künstlerischer Problem-stellungen zur Anschauung zu bringen: Landschaft, Geometrie oder Gestik wurden in den Gestaltungen Liners zu Trägern von Farbwerten, letztlich zu Farbräumen (Bild: Ausblick aus dem Atelier)

Der Künstler, der in fast „methodischen“ Werkreihen arbeitete, formulierte im einzelnen Werk die Farbe in ihrer autonomen Realität – die sichtbare Wirklichkeit war dabei ebenso wie die Welt der Gefühle Ausgangspunkt für Expeditionen in Farbwelten, die mal mehr, mal weniger an die Alltagswelt erinnern konnten. Im bildnerischen Kosmos von Carl Walter Liner gab es kaum einen Unterschied zwischen einer Appenzeller Landschaft, einem Ellipsoid oder einer Farbexplosion. Alles war für ihn ein Bild der Natur, zu dem Bäume, Berge, Seen, Architektur, Licht, Dunkelheit, Stimmung, Energie ebenso gehörten wie Linien, Farbe, Dynamik oder Handschrift. Carl Walter Liner pendelte nicht nur im faktischen Leben zwischen den Welten – einerseits Appenzell, andererseits Paris; er liess und lässt auch den Betrachter zwischen den Welten – einerseits einer mimetischen, andererseits einer absoluten Kunst – pendeln: im Nebeneinander der Bilder, vor allem aber im Dialog dieser Ansichten entfaltet sich ein umfassendes, natur- und kulturbezogenes Weltbild

Finissage, Sonntag, 17. August 2014, 15 Uhr

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